Thursday 20 March 2008

Konfliktfeld polygame Ehe

(von Sibille)

Willkommen in einer anderen Welt! So fühle ich mich zumindest nach unseren ersten zwei Tagen im fernen Osten Ugandas an der Quelle des Nils.In Jinja.

Nach anfaenglichen Unstimmigkeiten ueber fehlende Klotueren, Schlafsaalatmosphare und permanenter Radiobeschallung sind wir alle unheimlich froh ueber die Chance, erstens auf dem Land und zweitens mit einer Gruppe zu arbeiten, die sich nicht nur bezueglich ihres Alters deutlich von unseren bisherigen Teilnehmern an diversen Schulen unterscheidet. Vormittags arbeiten wir am Subcounty Council von Budondo, etwas außerhalb von Jinja, mit ca. 60 Männern und Frauen aus den umliegenden Doerfern, die zum Großteil um einiges älter als wir selbst sind, was eine gaenzlich neue Erfahrung fuer die meisten von uns sein duerfte. Aber genau das macht es wahnsinnig spannend und nie hätte ich gedacht, dass die Wahrnehmungen, Einstellungen und Lebensumstaende 80 Kilometer von Kampala entfernt so komplett anders sein koennten.

Erste Sprachbarrieren taten sich sogar für unsere ugandischen Teammitglieder auf, da einige Teilnehmer weder Englisch noch Luganda sprechen. Noch hilfloser fuehlt man sich jedoch, wenn beim Brainstorming zu „Konflikt“ Themen aufkommen, an die man sich -obwohl oder gerade weil man sich der Bedeutung bewusst ist- doch nur sehr vorsichtig heranwagt.

Polygamie zum Beispiel. Aus unserem Erfahrungshorizont laengst verschwunden, ist Polygamie für so viele Menschen hier Realität, Normalität, Alltag und birgt augenscheinlich ein enormes Konfliktpotential. Gruende und moegliche Loesungen wurden von den meisten in unserer Gruppe aber anders als von uns Mzungus interpretiert. Nicht die Mehrehe an sich wird als Problem angesehen, sondern sie Tatsache, dass die erste, zweite, dritte, ... Frau permanent um Gunst und Geld des Ehemannes buhlen, sich die Kinder der verschiedenen Frauen um Cassawa pruegeln und das Haus moeglicherweise nicht groß genug ist, um alle Co-Wives irgendwo unterzubringen.

Denn genau hier wurde heute auch die einzige Loesung gesehen, die wir provozieren konnten: Trennt die Frauen und gebt ihnen eigene Zimmer oder Wohnungen, sodass sie sich nicht gegenseitig umbringen, wenn Lust oder Vermoegen des Mannes irgendwann doch nicht mehr fuer alle reichen.

Schließlich dient eine Ehe ausschließlich der Befriedungung des Mannes und dem Fortbestehen der Familie („Producing“).

Wir haben heute ne Menge Forumtheater ausprobiert und irre spannende Szenen und Variationen gesehen! Und dennoch bleibt es fuer mich unglaublich unbefriedigend und kann es auch nur bleiben. Einen Weg zu finden zwischen einerseits Lösungen erarbeiten und es andererseits vermeiden, den Menschen unsere westliche, weiße, akademische oder was- auch- immer- Sicht aufzuzwängen ist mir selten so schwer gefallen wie heute. Man will schreien und schütteln und alles umwerfen und tut am Ende: nichts. Da sitzen zehn Frauen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen „Schichten“, die teilweise keine Scheu zeigen, den Männern in Diskussionen die Stirn zu bieten, und dennoch aktzeptieren sie alle ihre Rolle als Zweit- oder Drittfrau, die nichts anderes zu tun hat, als für das Wohl des Mannes und den Erhalt der Familie zu sorgen, solange man doch bitte die Viert- und Fünftfrauen aus ihrer Reichweite hält.

Richtig spannend wurde es, als wir die Männer die Rolle der Ehefrauen haben spielen lassen und sich diese anschließend durchaus betrogen, verletzt, erniedrigt und im Stich gelassen fuehlten... Auch wenn Einigen vollkommen unerklärlich blieb, warum Männer Frauen spielen sollen wo doch genügend Frauen verfügbar waren, hat dieser Rollentausch zumindest bei den Schauspielern ein kleines Fragezeichen hinterlassen.

Bleibt abzuwarten, ob sich dieses Fragezeichen verhärtet und zu einem ernsthaften In-Frage-stellen wird...


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Folgende Bilder stammen aus einem thematisch aehnlichen Forumtheaterstueck von Jessi, Andi, Moses und Rose:



"Geh nicht weg!" Ein Ehemann kaempft um seine Frau, die seine zweite Liebschaft nicht akeptieren will
"Lass mich gehen!" Auf der Suche nach Grundregeln des Zusammenlebens.

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